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Logarithmik statt Kulturpolitik?

Streitobjekt Künstlerversicherung: Antworten, Fragen - und Neuigkeiten aus Paris.

Eine Zwischenbilanz der Debatte über die so genannte Künstlersozialversicherung, im Grunde aber darüber, wohin die österreichische Kulturpolitik gegenwärtig trudelt, fällt sehr zwiespältig aus.


Robert Menasse
"Der Standard"-online, 05.03.2001


Einerseits ist etwas absolut Wünschenswertes gelungen: nämlich, eine Diskussion zu eröffnen über Fragen, die ohne Rede und Widerrede abgehakt werden sollten. Es ist geglückt, öffentliche Aufmerksamkeit auf Probleme zu richten, die in den Medien als "Orchideenthemen" galten, obwohl sie für das österreichische Selbstverständnis als "Kulturnation" grundlegend sind. Und es ist gelungen, eine große Anzahl von Künstlern zu mobilisieren und zu solidarisieren.

Andererseits sind einige völlig unnötige Dinge geschehen, die keinem, der an der Sache und grundsätzlich an Vernunft interessiert ist, angenehm sein können. Es wurden (und ich nehme mich selbst in der Hitze der Debatte da nicht aus) Missverständnisse und Irrtümer produziert und in Kauf genommen, die die längst notwendige Diskussion, als wir sie endlich hatten, da oder dort unnötig verwirrt haben, wobei ich zugleich
glaube, dass es anders diese Diskussion gar nicht gegeben hätte.

Und, noch schwerwiegender in der negativen Bilanz: Es wurde zum Teil auf ein Niveau hinabgestiegen, das man wohl kaum mehr als solches bezeichnen kann. Umso wohltuender die Sachlichkeit, mit der zuletzt Franz-Leo Popp im STANDARD (28. 2.) das inkriminierte Gesetz referierte und zu erklären versuchte. Er interpretiert das Morak-Gesetz Punkt für Punkt, Satz für Satz und kommt zu dem Ergebnis, dass es nicht nur unendlich kompliziert ist, sondern im Gesamten nicht ganz so schlimm. Kompliziert ist es schon
deshalb, weil die versicherungsmathematischen Berechnungsmodelle geeignet sind vorzuführen, dass aus rund 25 % unter Umständen nur 19 oder 14 % werden können. Und er konnte zeigen, dass ein Teil der
Künstler sogar von dieser neuen Regelung profitieren wird.

Alles in Ordnung also? Eben nicht. In der gleichen Ausgabe des STANDARD hat Matthias Rüegg zu Recht darauf hingewiesen, dass andere Berufsgruppen bereits einen Aufstand machen - und dafür noch
gesellschaftliches Verständnis erhalten -, wenn ihnen bloß zwei Prozent an zusätzlichen Belastungen aufgebrummt werden. Dass einzelne Künstler profitieren werden, hat von Anfang an keiner bestritten. Kein Künstler wollte je erwirken, dass jenen Kollegen, die nun eintausend Schilling zu erwarten haben, dieser Tausender wieder genommen wird. Aber Herr Morak hatte durchaus Interesse daran, dass diese Künstler, die nun also "profitieren" werden, jene Kollegen als unsolidarisch brandmarken, die nicht 14, 19 oder 24 Prozent ihres Einkommens, je nach Berechnungsmodell, zusätzlich abliefern wollen.

Teile und herrsche

Diese verkehrte Welt herzustellen - dass sich nämlich die Ärmsten und am meisten Missachteten mit dem Peiniger solidarisieren, gegen jene, die den Kampf gegen ihn aufgenommen haben - , ist Herrn Morak gelungen. Mir ist nichts bekannt, was ihm bisher so gut gelungen wäre. Und hier zeigt sich, was die bisherigen Reaktionen, selbst die sachlichsten, nicht begriffen haben: Dass nämlich die Probleme, die wir diskutieren, eben keine mathematischen sind, sowenig wie schöngeistige, sondern politische, und sich erst daraus die Unzufriedenheit und Wut so vieler österreichischer Künstler erklärt.

Mag sein, dass Mag. Popps Interpretation nun endlich die "richtige" ist - Nur: Ich kann keine Erleichterung und schon gar keinen Triumph empfinden, wenn ein Viertel der Künstler Brosamen erhalten und also
"profitieren" dürfen, und drei Viertel der Künstler auf jenes Minimum zurückgestutzt werden, das sie in die Nähe der Brosamen-Grenze bringt. Und das ist eben eine (kultur-)politische Entscheidung, egal ob sie aus
Perfidie oder aus Tollpatschigkeit getroffen wurde.

Kann einer, auch nur ein Einziger - Mag. Popps Interpretation in Ehren - nachvollziehen, dass die Regierung und ihr Sekretär sich für ein Gesetz selbst loben, das Künstler endlich "schützen" und "absichern" soll, das
aber so formuliert ist, dass drei Viertel der Künstler es ablehnen? Kann mir einer schlüssig erklären, warum ich als Künstler in der Sprache eines Steuerberaters oder Versicherungsdirektors auf eine solche Zumutung antworten soll, und nicht in der Sprache und in der Form eines Künstlers? Mit anderen Worten: Kann einer mir erklären, warum ich mich in einer Frage, die zehn Experten verschieden interpretieren, nicht in meiner Sprache produktiv irren darf, solange sie die grundsätzliche Wut der Betroffenen ausdrückt? Kann mir Herr Morak erklären, warum er sich nicht informieren wollte?

An "Billa" denken?

Österreich ist in Europa nicht das erste, sondern vielmehr das letzte Land, das ein solches Gesetz beschließt. Warum hat man nicht die Modelle anderer Länder studiert und auf deren jahrelange Erfahrungen
zurückgegriffen? Warum hat man dringend einen Pfusch sui generis machen wollen?

Weiters: Warum muss jeder Politiker oder Polemiker oder beide in Personalunion mir ununterbrochen ausrichten, "dass keine Billa-Kassiererin verstehen würde, wenn man Künstlern Ausnahmeregelungen gäbe"? Abgesehen davon, dass dieses Argument wirksam ist, weil es Beifallsstürme in den Chefetagen der Supermarktkonzerne ebenso auslöst wie in den Redaktionen der Boulevard-Presse, ist es sachlich falsch:
Dieses Gesetz selbst ist die Ausnahmeregelung - und die Künstler sind es, die auf dem Gleichheitsgrundsatz beharren. Als vergleichbare Gesetze für andere Berufsgruppen eingeführt wurden, gab es jedesmal Einschleif- und Übergangsregelungen. Selbst die Politiker in ihrer Selbstlosigkeit wollten den Gleichheitsgrundsatz am eigenen Beispiel nicht außer Kraft setzen und beschlossen ein Bezügegesetz für sich selbst, das es ihnen ermöglichte, in einer Übergangsphase entweder für das alte oder für das neue System zu optieren.

Grund zur Hoffnung

Es soll keiner, der vom Morak-Tausender profitiert, um diese kleine und völlig ungenügende Verbesserung gebracht werden. Aber die Frage bleibt dennoch: Warum soll dieses Minimum an verfassungsmäßiger
Gleichbehandlung und politischer Vernunft nicht möglich sein, das dazu führen würde, dass jene, die "geschützt" werden sollen, zumindest nicht mehr das Gefühl haben müssen, eben dadurch bedroht zu sein?

Ich bin sicher, dass die österreichische Regierung Verständnis aufbringen wird, schließlich ist sie ja selbst eben erst ein "Opfer" der Sozialversicherungsproblematik geworden: Die (alte) österreichische Regierung hat sich, wie man aus Paris hört, seit Jahren beharrlich geweigert, Sozialversicherungsabgaben für jene Lehrer zu bezahlen, die am österreichischen Kulturinstitut in Paris Deutschkurse gegeben haben. Diese Abgaben, so die Argumentation der zuständigen Minister, hätten die Arbeit des Kulturinstituts allzu sehr belastet. Schließlich wurde die Republik von einem Gericht zur Nachzahlung der Sozialversicherungsabgaben verurteilt (ohne Erfolg!) und nun gar zu einer Beugestrafe. "Na gut", sagte die (neue) Regierung in Gestalt von Schüssel und Ferrero-Waldner, "dann sperren wir das Institut eben zu!"

Ich glaube, der Kunstkanzler wird, aus dieser Erfahrung heraus, verstehen, was wir meinen. Außer er will auch die Kultur in Österreich insgesamt zusperren.

In der unerschütterlichen Hoffnung auf eine sachliche Diskussion verabschiede ich mich auf einige Zeit, um eine Einladung nach Paris anzunehmen.



Robert Menasse ist Schriftsteller in Wien.

updated: 05.03.2001 by werner
 
 
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